Freitag, 9. Mai 2014

Jeder Vierte hat kein freies Wochenende

 Mittelbayerische Zeitung 09.05.2014


Immer mehr Deutsche müssen arbeiten, wenn andere ausschlafen – und sonntags Dienst schieben. Vor allem im Handel nimmt der Einsatz an diesen Tagen zu.


Als Arbeitnehmer ist er davon oft nicht begeistert,
als Kunde hingegen fordert er es immer mehr –
Öffnungszeiten und Dienstleistungen am Sonntag. Foto: dpa

Berlin. Ob als Krankenschwester, Koch, Pfarrer oder Verkäufer – mehr als jeder vierte Beschäftigte in Deutschland arbeitet mittlerweile gelegentlich, regelmäßig oder sogar ständig an Sonn- und Feiertagen. 2012 betrug ihr Anteil an allen Erwerbstätigen 28,6 Prozent, wie aus einer am Donnerstag veröffentlichten Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linksfraktion hervorgeht. 1995 hatte die Quote noch 21,4 Prozent betragen.
11,5 Millionen Erwerbstätige mussten 2012 an Tagen zum Dienst, an denen sich der Großteil der Bevölkerung ausruhen konnte. Besonders stark nahm die Sonn- und Feiertagsarbeit im Handel zu: 1995 waren dem Statistischen Bundesamt zufolge 576 000 Beschäftigte in der Branche betroffen, 2012 waren es 973 000 – ein Anstieg um 69 Prozent.
Die arbeitsmarktpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag, Sabine Zimmermann, beklagte diese „Ausuferung“ sowie einen „Wildwuchs“ bei verkaufsoffenen Sonn- und Feiertagen. Stattdessen müssten diese Tage als Erholungstage geschützt werden. So stehe es auch im Grundgesetz. Die Bundesregierung lege bei diesem Thema „die Hände in den Schoß“, kritisierte sie und forderte einen „Sonntagsschutzbericht“.
Thorben Albrecht, Staatssekretär im Bundesministerium für Arbeit und Soziales, erklärte, die Bundesregierung sehe derzeit keinen gesetzgeberischen Handlungsbedarf. Die Zahlen des Statistischen Bundesamtes zeigten, dass Sonn- und Feiertagsarbeit trotz einer tendenziellen Zunahme „nach wie vor eine Ausnahme ist“. Rund drei Viertel aller abhängig Beschäftigten in Deutschland würden nie an Sonn- und Feiertagen arbeiten. Das Statistische Bundesamt zähle auch Selbstständige und Freiberufler mit, die erfahrungsgemäß häufiger als abhängig Beschäftigte am Wochenende arbeiteten. Ein „Sonntagsschutzbericht“ sei nicht erforderlich, der Aufwand dafür viel höher als ein möglicher zusätzlicher Erkenntnisgewinn.
Der Arbeitszeitexperte Werner Eichhorst vom Bonner Forschungsinstitut Zukunft der Arbeit (IZA) sprach gegenüber der „Saarbrücker Zeitung“ von einem Trend zu einer „24-Stunden-Gesellschaft“, der von den Verbrauchern vorangetrieben werde. „Sie erwarten das, allein wenn man nur an den Bereich Versandhandel und Logistik denkt, wo es um schnelle Lieferzeiten geht.“ Es sei schwer, sich diesem Trend entgegenzustellen, „denn jeder Arbeitnehmer ist zugleich auch Kunde“. Zudem seien flexible Arbeitszeiten im Interesse vieler Beschäftigter, weil sie das Familienleben erleichterten.



Das Thema Samstagsarbeit sorgt derzeit bei den Tarifverhandlungen für das Bankgewerbe für Streit. Die Arbeitgeber wollen für die Finanzinstitute mehr Flexibilität und bessere Geschäftschancen. Die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi weist die Forderung als indiskutabel zurück. (afp)